Was Führungskräfte in Sachen Resilienz falsch verstehen

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Resilienz, also die kontinuierliche Verfolgung von Zielen trotz widriger Umstände, ist ein wichtiges Thema für alle Arten von Organisationen, denn Widrigkeiten sind sowohl im Privatleben als auch im Beruf unvermeidlich. Niemand ist davor gefeit – wir alle sind mit persönlichen Widrigkeiten konfrontiert, vom täglichen Stress bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie über den Verlust des Arbeitsplatzes oder den Tod eines geliebten Menschen bis hin zu gesellschaftlichen Stressfaktoren wie einer Pandemie oder der Zunahme rassistisch motivierter Gewalt im Fernsehen. Angesichts dieser Herausforderungen ist Resilienz unerlässlich.

Jedoch sind die derzeitigen Versuche der Unternehmen, die Resilienz ihrer Mitarbeiter/innen zu verbessern, weitgehend unwirksam. Die meisten Resilienz-Trainings haben nur relativ geringe und kurzlebige Auswirkungen – und es gibt berechtigte Bedenken, dass Resilienz zu einem ausbeuterischen, stigmatisierenden und überbewerteten Phänomen “verkommt”. 

Laut der ehemaligen Autorin des New York Times Magazine, Parul Sehgal, wird Resilienz oft als „eine Verdoppelung der alten Bootstrap-Logik gesehen, bei der dein Erfolg oder Misserfolg von deinem Charakter abhängt“. Manchmal allerdings – wie dieses Zitat zeigt – ist das mehr, als ein Mensch ertragen sollte:

Ich träume davon, nie wieder in meinem Leben als widerstandsfähig bezeichnet zu werden. Ich bin erschöpft von Stärke. Ich will Unterstützung. Ich will Sanftheit. Ich will Leichtigkeit. Ich will unter Gleichgesinnten sein. Ich will nicht auf die Schulter geklopft bekommen, wie gut ich einen Schlag einstecke. Oder wie viele.

Wenn Resilienz also gleichzeitig wichtig und auch problematisch ist – wie können Organisationen dann ihre Resilienz-Maßnahmen verbessern; von gezielten Interventionen wie flexiblen Arbeitsregelungen für Beschäftigte, die eine Herausforderung bewältigen müssen, bis hin zu dauerhaften Maßnahmen wie bezahltem Urlaub, Ressourcen für das Wohlbefinden und physischen Anpassungen … und gleichzeitig auf die Nachteile achten?

Ich empfehle daher, zwei typische “Fallstricke” zu verstehen und zu beseitigen sowie drei Fragen zu beantworten.

Zwei Fallstricke der Resilienz kennenlernen

Bevor du dir überlegst, wie du deine Mitarbeiter/innen dabei unterstützen kannst, widerstandsfähiger zu werden, solltest du dir überlegen, ob eine oder gar beide dieser Fallen dir (und ihnen) im Weg stehen könnten:

  1. Unternehmen betrachten Resilienz als eine Persönlichkeitseigenschaft

Oft spricht man über Resilienz als etwas, das Menschen entweder besitzen oder nicht. 

Es stimmt, dass manche Menschen eine „eigenschaftsähnliche“ Stabilität in ihrer Resilienz aufweisen, z. B. können diese ein gleichbleibendes Maß an Resilienz über Zeit und Kontext hinweg zeigen. Aber wenn wir Resilienz nur auf diese Weise bedenken, schieben wir die Verantwortung allein auf die Arbeitnehmer/innen und ignorieren die Rolle der Organisation bei der Bereitstellung angemessener Unterstützung. 

Die klinische Psychologin Dr. Amy Adler bezeichnet diesen Mangel an struktureller Verantwortlichkeit als „Schattenseite der Resilienz“. Konkret heißt das, wenn du also deine Mitarbeiter/innen weiterhin zur Resilienz ermutigst, ohne auch Verantwortung zu übernehmen, kann das psychologisch erschöpfend sein und zu Burn-out führen.

Betrachte Resilienz also nicht als Eigenschaft, sondern als einen Zustand, den jeder Arbeitnehmer erreichen kann! Dazu braucht es allerdings ein Umfeld, das Resilienz proaktiv ermöglicht und unterstützt: Besitzt ihr eine Kultur, die Mitarbeiter/innen ermutigt, ihre Sorgen, Bedürfnisse und Ideen anzusprechen und nach den Ressourcen zu suchen, diese zu berücksichtigen? Verfügt dein Unternehmen über Urlaubs-, Unterbringungs- und Leistungsregelungen, die deinen Beschäftigten angemessene Reaktion auf Herausforderungen ermöglichen? 

Widrigkeiten treten meist unerwartet auf, das bedeutet, Unternehmen MÜSSEN sie einplanen! Die Mitarbeiter/innen selber können eine Fehlgeburt, sexuelle Belästigung oder eine Verschlechterung der Gesundheit nicht vorhersehen, aber dein Unternehmen muss im Voraus Maßnahmen ergreifen, um auf potenzielle Situationen beizeiten reagieren zu können.

Diese Perspektive verdeutlicht zudem, dass Resilienz-Maßnahmen nicht als Ersatz für die systematische Beseitigung von Ungleichheiten dienen sollten. Es ist NICHT in Ordnung, Rassismus und Diskriminierung  ausgesetzte Arbeitnehmer/innen zu ermutigen, „widerstandsfähiger“ zu sein, ohne sich mit den Ursachen zu befassen, warum Resilienz überhaupt notwendig ist. Unternehmen müssen sich darauf konzentrieren, sowohl eine Kultur der Inklusion als auch spezifische Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung zu schaffen.

Um wirklich Resilienz in deiner Organisation aufbauen zu können, musst du akzeptieren, dass zwei Dinge gleichzeitig geschehen können: Der Einzelne kann ein Reservoir an Ressourcen wie Optimismus, Kraft und etablierte soziale Unterstützungsnetzwerke aufbauen, die seine Widerstandskraft stärken – während eine Organisation proaktive Ressourcen anbietet und Veränderungen zum Schutz der Beschäftigten schafft. Trotzdem –  auch Verbesserung und Unterstützung durch die Organisation kann die individuelle Resilienz der Beschäftigten nicht ersetzen.

  1. Unternehmen stigmatisieren Mitarbeiter/innen, wenn sie Widrigkeiten erleben

Positive Emotionen können die Resilienz stärken, aber negative Emotionen treten oft auf, wenn jemand eine schwierige Erfahrung bewältigt. Das ist ein ganz normaler menschlicher Vorgang: Negative Emotionen – solange sie nicht krankhaft intensiv oder chronisch werden – hindern Menschen nicht daran, widerstandsfähig zu sein. 

Was aber allzu oft passiert, ist, dass Menschen stigmatisiert werden, wenn sie bei der Arbeit Frustration, Angst oder Überforderung empfinden oder ausdrücken. Betroffene suchen daher möglicherweise keine Unterstützung, weil sie befürchten, verurteilt zu werden.

Organisationale Resilienz-Maßnahmen sollten nicht mit der Abwesenheit von negativen Emotionen in schwierigen Zeiten gleichgesetzt werden; diese Assoziation kann sogar unrealistisch und unpassend sein. Bestimmte Achtsamkeitsprinzipien wie die nicht wertende Akzeptanz von Emotionen, verfügen über bekannte Vorteile wie verbesserte körperliche und emotionale Gesundheit.

Frustrationsgefühle nach einer unerwünschten Veränderung oder das Gefühl der Überforderung mit Arbeit und Betreuungsaufgaben sind keine „Nicht-Resilienz“: Beschäftigte können komplexe emotionale Erfahrungen machen und trotzdem weiter auf ihre Ziele hinarbeiten. Aber statt der Unterdrückung negativer Gefühle können Unternehmen diese als Signale nutzen, um herauszufinden, ob etwas innerhalb des Unternehmens in Angriff genommen werden muss und wie die Beschäftigten am besten unterstützt werden können.

3 Fragen für Führungskräfte als Leitfaden für Resilienz-Bemühungen

Sobald du also die eben beschriebenen Fallstricke kennst und weißt, wie verbreitet sie in deinem Team oder in deinem Unternehmen sind, definierst du deinen Ansatz zur Förderung der Resilienz deiner Mitarbeiter/innen neu. Und dann beantworte die folgenden drei Fragen vor dem Hintergrund der einzigartigen Geschichte und Bedürfnisse deines Unternehmens:

Frage 1: Kann die Widrigkeit verringert oder beseitigt werden?

Vor deiner Entscheidung über die Förderung der Resilienz deiner Mitarbeiter/innen musst du herausfinden, ob die Organisation selbst etwas gegen die Widrigkeiten unternehmen kann.

Lautet die Antwort „Nein“, konzentriere dich darauf, die Mitarbeiter/innen über ihre Strategien zur Resilienz zu informieren und sie zu unterstützen. Du kannst zwar nicht die Ursache für die unerwartete Betreuungsaufgabe eines Mitarbeiters beheben, aber mit bezahlten Freistellungen, flexiblen Arbeitsbedingungen und unterstützenden Vorgesetzten organisatorische Ressourcen schaffen, die zur Stärkung der Resilienz beitragen. Um ein Resilienzförderndes Umfeld zu schaffen, mag es erforderlich sein, den Beschäftigten bei Bedarf individuelle Unterstützung anzubieten (etwa spezielle Schulungen, um mit einer schwierigen neuen Aufgabe zurechtzukommen). Eine wirksame Unterstützung setzt voraus, dass die Beschäftigten gefragt werden, womit sie zu kämpfen haben und was sie zur Überwindung dieser Schwierigkeiten brauchen.

Lautet die Antwort auf Frage 1 hingegen „Ja“  – etwa missbräuchliche Arbeitskulturen, unrealistische Arbeitsbelastungen oder ungerechte Bezahlung – sollten sich Unternehmen auf Strategien konzentrieren, die das Bedürfnis der Beschäftigten nach Resilienz in solchen Fällen verringern; hoher Arbeitsbelastung kann zum Beispiel mit einer Änderung der Aufgabenbelastung, Aufstockung des Personals oder dem Angebot höherer Bezahlung im Gegenzug für höhere Arbeitsbelastung begegnet werden. 

Es mag nicht einfach sein, auf Widrigkeiten aufgrund von organisatorischen Entscheidungen zu reagieren, aber es wäre eine Investition in den Erfolg sowie die Gesundheit der Beschäftigten und könnte gleichzeitig Burn-out reduzieren, da diese ihre Ressourcen für die Bewältigung unvermeidlicher Herausforderungen schonen können.

Frage 2: Erleben alle Beschäftigten diese Widrigkeiten auf die gleiche Weise?

Bei der Entwicklung von Resilienz-Maßnahmen ist die Prüfung, ob Widrigkeiten je nach Identität, Status oder Betriebszugehörigkeit der Beschäftigten unterschiedlich sind, entscheidend. Die Pandemie etwa hat für Eltern (im Vergleich zu Kinderlosen), Gruppen mit niedrigem sozioökonomischem Status (im Vergleich zu finanziell Bessergestellten), Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen (im Vergleich zu in geringerem Maße Gefährdeten) sowie ethnische Minderheiten (im Vergleich zu Menschen, die nicht gleichzeitig von Ungerechtigkeit betroffen sind) besondere Widrigkeiten geschaffen. Diese Erfahrungsunterschiede ignorierende Resilienz-Maßnahmen werden nur für einen Teil der Beschäftigten wirksam sein. Umfragen und Fokusgruppen stellen eine (kosten-)effiziente Methode dar, Auswirkungen von Widrigkeiten zu ermitteln und gezielt darauf zu reagieren.

Lautet die Antwort auf diese Frage also „Nein“, sollten Resilienz-Maßnahmen spezifische Programme für verschiedene Gruppen umfassen und personalisierte Ressourcen anbieten, die unterschiedlichen Erfahrungen und Bedürfnissen Rechnung tragen – wie etwa beim Thema Rassismus und Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund, die miterlebt haben, wie Mitglieder ihrer Generation Gewalt erfahren mussten. 

Die Wiederherstellung des Engagements und die Bewältigung emotionaler Erschöpfung von Beschäftigten nach solchen Ereignissen profitieren von einem Verständnis dieser besonderen Stressfaktoren und schließen spezielle Ressourcen zur Bekämpfung von Rassismus ein, wie z. B. organisatorische Maßnahmen, die rassistische Mikroaggressionen am Arbeitsplatz ansprechen. Dieser identitätsorientierte Ansatz könnte dazu beitragen, dass das Resilienz-Programm für mit Widrigkeiten kämpfende Beschäftigte inklusiv und nützlich ist.

Wenn die Antwort auf die zweite Frage hingegen „Ja“ lautet, kann die Entwicklung  allgemeinerer Resilienz-Maßnahmen, die eine Reihe von speziell auf die Widrigkeiten selbst zugeschnittenen Ressourcen und Empfehlungen enthalten, sinnvoll sein. In Branchen wie dem Gesundheitswesen etwa existieren einige bekannte, vorhersehbare Herausforderungen, mit denen Beschäftigte konfrontiert werden könnten, wie dem Umgang mit dem verärgerten Familienmitglied eines Patienten oder dem Verlust eines Patienten. Eine Schulung zur Information aller Beschäftigten über diese Erfahrungen und proaktive Ressourcen zur Stärkung ihrer Widerstandsfähigkeit kann für alle von Vorteil sein.

Frage 3: Welche Rolle kann ich bei der Förderung der Resilienz meiner Mitarbeiter/innen spielen?

Führungskräfte können und sollten eine aktive Rolle bei der Resilienzförderung ihrer Mitarbeiter/innen spielen. Gerade ob einer Tendenz zu romantisierter Führung und Zuschreibung von alleiniger Verantwortung für positive und negative Ergebnisse, prägen Führungskräfte tatsächlich die Unternehmenskultur sowie -normen und spielen eine Schlüsselrolle bei der Schaffung eines Klimas gemeinsamer Verantwortung für Resilienz.

Zur Beantwortung dieser Frage sollten Führungskräfte über Folgendes nachdenken:

  • die Ressourcen, die sie anbieten können, um die Resilienz der Beschäftigten zu fördern – wie etwa bezahlte Therapien, bezahlter Urlaub, Bildung von Mitarbeiter-Ressourcengruppen und Schaffung eines Arbeitsumfeldes, in dem Beschäftigte ihre Sorgen und Nöte ohne Angst vor Repressalien äußern können;
  • die Arten von belohnten Verhaltensweisen signalisieren, worauf sie Wert legen und wollen, dass ihre Mitarbeitenden Prioritäten setzen – die Unterstützung bestimmter Verhaltensweisen wie z. B. die Suche nach Hilfe, sowie die Entwicklung einer Kultur, die das Lernen aus Fehlern belohnt, und das Mitspracherecht und das Lernen der Beschäftigten unterstützt, erhöht die Widerstandsfähigkeit;
  • die Arten von angebotenen Anpassungen, die ein Verständnis dafür signalisieren, dass Widrigkeiten verändern können, was die Beschäftigten wann leisten Mitarbeiter sind Menschen, keine Roboter: Passt du die Erwartungen des Einzelnen oder des Teams an eine Herausforderung an, zeugt das von Respekt für die Menschlichkeit und schafft gleichzeitig ein Umfeld, das Resilienz ermöglicht;
  • den Raum, den sie für Emotionen der Mitarbeiter/innen schaffen vermeide insbesondere die Erwartung, dass Menschen in schwierigen Situationen nur positive Emotionen empfinden oder – was ebenso schädlich ist – dass sie auf eine große Herausforderung keine emotionale Reaktion zeigen sollten. Die implizite oder explizite Aufforderung an Beschäftigte, sich in einer schwierigen Situation ungerührt zu zeigen, zwingt diese, interne Ressourcen zur Bewältigung von Eindrücken zu nutzen, anstatt diese Ressourcen für die Bewältigung der anstehenden Herausforderung einzusetzen. Die Unterstützung eines gesunden Gefühlsausdrucks ist ebenfalls Teil der Anerkennung der Menschlichkeit.

Trotz dieser Einschränkungen müssen Unternehmen weiterhin die Resilienz ihrer Beschäftigten fördern. Alle Berufe beinhalten für Stressoren anfällige Aufgaben, daher ist Resilienz in allen Berufsphasen, -ebenen und -typen erforderlich. Die persönlichen und beruflichen Vorteile, die uns eine Resilienz-Erfahrung bringt, machen Resilienzfördernde Versuche fruchtbarer als den Verzicht. Dieser Verzicht auf Resilienz-Maßnahmen könnte dazu führen, dass diejenigen, die mit Widrigkeiten konfrontiert sind, nur über begrenzte Strategien und Unterstützung verfügen, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.

Für Arbeitnehmer/innen ist das Wissen, dass sie ihre Reaktionen auf herausfordernde Erfahrungen zumindest teilweise selbst steuern können, ermutigend. Es ist aber auch wichtig, das Gesamtbild zu erkennen, das die Macht und den Einfluss von Organisationen und Führungskräften bei der Gestaltung der Resilienz-Erfahrungen und -Ergebnisse der Beschäftigten einschließt. Wirksame und nachhaltige Resilienz-Maßnahmen können nur dann stattfinden, wenn die Verantwortung für die Resilienz geteilt wird.

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